Setzt euch hin, holt euch einen Kaffee. Wird watt ausführlicher …
Der Braten schmorte diesen Abend schwitzend im Ofen, die Kartoffeln waren fast gar. Da schaltete sich der Strom in der Küchenzeile aus und das Alarmlicht ein: „Einsatz fürs HLF! Breslauer Straße, Rauchentwicklung auf Balkon im 10. Stock.“ Wir ließen also alles stehen und liegen und besetzten den Löschbomber. Dem Alarmschreiben aus dem Drucker konnten wir entnehmen, dass der Einsatz von dem Disponenten mit dem Stichwort „Brand im Hochhaus“ angelegt worden war. Das hieß, dass jetzt aus dem halben Stadtgebiet die Kräfte losgeschickt wurden. Aber bis die da waren, mussten wir in den ersten Minuten zunächst alleine klar kommen.

Als Angriffstrupp fing ich sofort an, mir die Überhose anzuziehen: „Da wird wohl jemand vom Zwölften eine Kippe weggeschnippst haben, die den Torf im Blumenkasten des Zehnten angekokelt hat“, mutmaßte ich. Das passiert häufiger, als man denkt… „Oder es grillt jemand bei dem milden Wetter“, vermutete Jörg, der heute mein Spannmann war. Wir verließen also mit eingeschalteten Transparenten auf dem Dach die Wache, während wir uns weiter ausrüsteten. Die Fahrt dauerte nicht lange, ich hatte mir gerade die Gurte meines Atemschutzgerätes festgezogen und fummelte jetzt an der Maske herum, da trafen wir auch schon ein. Ein winkendes Männerrudel schien zu wissen, wo es brannte. Häufig kommt es vor, dass die Ortsbeschreibungen beim Notruf stark vom tatsächlichen Drehort des Schicksals abweichen, also folgte der Maschinist den Gesten der augenscheinlich Ortskundigen und steuerte das Geschoss um den Backes herum auf den daneben befindlichen Parkplatz. „Da oben, sehen Sie? Da qualmt es wie Sau!“, rief dann einer der fuchtelnden Männer. Weit oben konnte man tatsächlich dichten Rauch sehen, der von einem Balkon aufstieg. Auch ein orangenes Flackern ließ sich erkennen: Die Theorien mit dem Grill oder dem Torfbrand hatten sich erledigt. Unser Anstaltsleiter verdrehte die Augen: „Mist! Zurücksetzen, hier hinten ist doch gar kein Eingang!“, wies er den Chauffeur an, um dann den entsetzt auf das nun wieder rückwärts setzende Dienstauto schauenden Männern draußen zu sagen, dass wir ja schlecht mit unseren Plünnen an der Fassade raufklettern könnten, um auf den Balkon zu gelangen.
oben Schlauchtragekorb als Leitung bis vor die Wohnungstür, darunter der „Loop“, als Angriffsleitung und Schlauchreserve
oben Schlauchtragekorb als Leitung bis vor die Wohnungstür, darunter der „Loop“, als Angriffsleitung und Schlauchreserve

Als der rote Koloss vor dem Hauseingang hielt, sprangen wir raus und fledderten unsere Ausrüstung aus dem Aufbau: Jörg schnappte sich den Schlauchtragekorb, ich hängte mir die Fluchthauben um, nahm den Angriffs- Loop und die Feuerwehraxt. Unser Chef gab dem Callcenter Bescheid: „Bestätigtes Feuer auf Balkon. Ein Trupp mit C- Rohr vor!“ Und zum Maschineur: „Steigleitung einspeisen! Ist da drüben hinter dem Blumenkübel.“ (Eine Steigleitung ist ein Rohr, das für die Feuerwehr senkrecht in einer Hauswand verbaut wird und in jeder Etage einen Schlauchanschluss hat)

Wir hatten die Masken aufgesetzt und gingen ins Haus. „Wenn es auf dem Balkon brennt, können wir doch den Fahrstuhl nehmen, nicht?“, meinte der Kollege. Mir war zwar nicht ganz wohl, aber irgendwie hatte er auch Recht: Wäre das Treppenhaus schon mit Rauch beaufschlagt oder durch Feuer in Mitleidenschaft gezogen worden, wären wohl noch weitere Meldungen aus dem Haus bei der Leitstelle eingegangen, und nicht nur die eine Meldung der Passanten. Zudem sparten wir eine Menge Zeit: 10 Stockwerke mit je 30kg Ausrüstung können im Treppenhaus lang werden! Also alles in den engen Raum gestopft, und hoch ging es. Stille. Wir mit aufgesetzten Masken und geschulterten Stahlflaschen, neben uns Schläuche und Axt, lauschten wir dem Summen des Liftantriebs. Irgendwie surreal…. „Fehlt noch das triviale Kaufhaus- Geklimper“, entfuhr es mir.

Einige Momente später stiegen wir vorsichtshalber schon ein Stockwerk unter der Zieletage aus und gingen den Rest zu Fuß. Das Treppenhaus war als Fluchttreppenhaus gebaut worden, das heißt, es war durch eine Rauchschleuse von den einzelnen Etagen getrennt. Im Etagenflur war niemand zu sehen, aber es roch etwas verbrannt. Und gleich bei der mittleren von fünf Wohnungen kam etwas Rauch durch den Spalt der Wohnungstür. Selbst aus dem Klingelknopf flüchteten kleine Wölkchen! „Tja, das brennt wohl doch nicht nur auf dem Balkon…“, merkte ich an. „Wir sollten die anderen Bewohner der Etage vielleicht erst mal raus schicken, bevor wir die Tür öffnen und hier gleich alles dick verqualmt ist“, riet Jörg. Er ging nach links, ich nach rechts. Das „Feuerwehr- Klopfen“ dröhnte durch den Bau, wir klingelten Sturm. „Hallo?? Feuerwehr! Mal aufmachen, bitte!“ Doch niemand öffnete. Einige Sekunden später trafen wir uns wieder vor der Wohnungstür: „Bei dir auch keiner da? Sind wohl alle Buden leer. Machen wir also auf“, entschloss sich Jörg. Ich lief mit dem Schlauch zurück ins Treppenhaus zum Blechkasten, in dem die Anschlüsse der Steigleitung versteckt waren. Dort schloss ich den Schlauch an die Kupplung an und drehte das Ventil langsam auf. Das Wasser rauschte in den gelben Darm. Zurück vor die Tür der Brandwohnung entlüfteten wir die Schlauchleitung und schraubten die Lungenautomaten an unsere Masken an, bevor wir uns an der Tür zu schaffen machten. Sollte sie gleich durch unsere Überredungskünste aufgehen, würde augenblicklich ein großer Schwall Rauch und Hitze aus der Wohnung dringen! Jörg versuchte zunächst, sie einfach aufzutreten, wie es in den billigen Mietshäusern schon so oft klappte. Doch diese Tür machte einen recht stabilen Eindruck: Sicherheits- Schließzylinder, teure Beschläge und eine massiv klingende Tür in einer Metallzarge. Jörg setzte die speziell geformte Finne der Axt in den Türspalt und fing an zu brechen: Eine aufgesetzte Leiste splitterte aus der Zarge, die Tür hielt. Zwei weitere Brechversuche: Die Tür hielt. Nur der Spalt wurde etwas breiter, es drang nun mehr Rauch hindurch. Ich nahm ihm nun die Axt ab und setzte die Klinge längst in den Spalt, um dann wieder Gewalt am Metallstiel wirken zu lassen. Ein Hebelverhältnis von mehr als 1:10 ist schon eine Macht von 900 bis 1000kg, wenn man seine Kilos aus erotischer Schwungmasse und Ausrüstung an den Stiel hängt! Dieser bog sich unter der Gewalt wie ein Flitzebogen, so dass ich bedenken bekam, ihn abzubrechen. Nur der Tür war es egal. Uns trat schon der Schweiß auf die gummibewehrte Stirn. Beamtenschweiß soll so kostbar sein, und wir verloren ihn hier einfach…

Ein weiterer Trupp gesellte sich jetzt zu uns. Die zwischenzeitlich eingetroffene Drehleiter war zu kurz, um hier oben vielleicht durch ein Fenster einzubrechen. Die reichte nur etwa bis in den achten Stock. Wir mussten also diese Tür aufbekommen, koste es, was es wolle! Jörg versuchte nun, in die Tür ein Loch zu schlagen. Aber was die Axt auf dem Türblatt hinterließ, würde jeder Schreiner mit etwas Reparaturwachs und einigen Spritzern Möbelpolitur wieder hinbekommen. Die Wohnung war wie ein Tresor gesichert, was uns zugegebenermaßen nicht so recht ins Gesamtkonzept passte …

Mittlerweile war so viel Rauch durch den erweiterten Spalt gedrungen, dass im Etagenflur die Rauchmelder anschlugen. Während sich nun die beiden hinzugestoßenen Kollegen lärmend an der Tür versuchten, spürte ich die Zeit im Nacken und setzte durch das Gepiepse der Rauchmelder einen Funkspruch ab: „Gruppenführer von Angriffstrupp, kommen! – Wir kommen nicht durch die Tür, brauchen eine Kettensäge!“ Doch der Funk war in diesem Gebäude grottig. Ich musste den Spruch noch mal wiederholen. „Ja, Kettensäge. Verstanden. Schicke euch eine hoch“, kam dann die Antwort. Ich gab den Tipp: „Der Fahrstuhl funktioniert noch…“

Immer wieder brachen die Kollegen abwechselnd an der Tür herum und warfen sich erfolglos dagegen, bis irgendwann die Lifttür aufging. Drinnen stand einsam eine Säge. Ohne Begleitpersonal. Fast wie in einem Computerspiel: *Pling!* – „Sie haben freigeschaltet: Kettensäge“

Ich nahm sie heraus und riss an dem Starterseil, bis sie mürrisch losknurrte. Den Schnitt setzte ich unterhalb des Türschlosses quer an. Wenn ich das Türblatt so teilte, sollte die untere Hälfte wie bei einer Pferdebox aufzuklappen gehen, hatte ich mir ausgemalt. Die Säge ging durch eine über fünf Zentimeter dicke Vollholz- Tür! Ich schnitt, bis die Kette am Türrahmen funken riss und ging davon aus, dass wir nun leichtes Spiel hätten. Ein Tritt, zwei Tritte: Die Klappe schwang nicht auf. Bombenfest! Und die Uhr tickte. Jörg trat auch vor die Tür, setzte dann noch mal die Axt in den Schnitt, um den unteren Teil aufzuhebeln. Die Tür lachte uns aus. „Das gibts doch nicht!“, fluchte er. Scheinbar lief durch die Schlossseite noch ein Metallband, welches nun die Stellung hielt. „Schmeiß die Säge noch mal an, einmal von oben nach unten!“, forderte Jörg mich auf. Ich tat wie befohlen: Möglichst weit oben mit dem Schwert eingetaucht, schnitt ich nach unten. Auf halber Höhe wurde ich vorsichtig: Sollte auch noch ein starker Querriegel hinter dem Blatt eingebaut sein, könnte die Säge gleich zurückschlagen! Zum Glück ging die Säge gut durch das Türblatt. Weiter unten wurde ich noch vorsichtiger, zog das Schwert so weit zurück, dass es nur noch mit der Spitze durch die Rückseite drang. Vielleicht lag noch jemand hinter der Tür? Dann wollte ich nicht derjenige sein, dem wie in einem schlechten Horrorfilm das Blut von der Säge auf die Maske spritzte. Und die Uhr lief. Der Rauch drang noch immer durch die Schlitze.

Ich schnitt nun bis in die Fußleiste und in den Bodenbelag, wollte sicher gehen, dass das Blatt auch komplett durchtrennt war. Scheiß auf die Kette, die vielleicht stumpf wird, wenn ich sie in den Estrich schlage. Die Tür musste nun aufgehen, sie hielt uns wohl schon etwa eine viertel Stunde auf. Wir mussten da jetzt rein! Unsere Luft, die wir ja schon aus den Flaschen atmeten, als wir anfingen, die Tür zu vergewaltigen, reichte schließlich auch nicht ewig.

Als ich die Säge wieder an die Seite stellte, trat Jörg noch mal gegen die selbstgebastelte Western- Saloontür. Der Flügel auf der Schlossseite leistete immer noch Widerstand, wich aber ein wenig nach hinten. Aber die Scharnierseite ließ sich endlich aufstoßen! Heiße Gase drangen aus der Öffnung, unsere Maskenscheiben beschlugen augenblicklich von der in ihr enthaltenen Feuchtigkeit, als wir in die stockschwarze Wohnung krochen. Der Strahl meiner Helmlampe stach nur einige dutzend Zentimeter in den Rauch, bevor er erstarb. Ein Haufen Kleidung versperrte uns in dem hinter der Tür liegenden schmalen Flur die Passage, ich randalierte ihn und einen Einkaufstrolley an der gegenüberliegenden Wand an die Seite. Messiwohnung?

Wir krochen weiter in die Wohnung. Hitze. Rauch. Man sah kaum die Hand vor den Augen. Ich tastete meine Umgebung ab, suchte nach eventuell dort zwischen den Möbeln liegenden Körpern, wischte zwischendurch Feuchtigkeit und Rußschmiere von der Maske. Jörg zog den prallen Schlauch in den Wohnungsflur, ich zerrte ihn hinter mir her, weiter ins Dunkel hinein. Scheinbar war die Behausung nicht sehr groß, denn kaum drei, vier Meter in dem Zimmer, nahm ich vor mir eine Reflexion meines Helmlampenstrahles wahr: Wahrscheinlich schon eine Fensterscheibe. Die rechte Raumseite hatten wir damit schon abgesucht. Ich wandte mich nach links, wo mir ein Sessel im Weg stand. Als ich mich an ihm vorbei quetschte, flackerte es etwa zwei Meter vor mir orange auf einer Fläche von etwa zwei Quadratmetern: Hitzequelle gefunden! Im Flammenlicht sah ich ein Holzgerippe leuchten: Sofabrand. Volle Ausdehnung. Irreparabel… Die Polster waren schon fast ganz aufgezehrt. Sollte dort noch jemand bei Brandausbruch gelegen haben, würde man ihn nur noch mit Mühe als Mensch erkennen können, fuhr es mir durch den Kopf. Wir wurden ja auch lange genug durch die falsche Einweisung und eine Tresortür aufgehalten!

Ich richtete mich auf und schoss ein paar Wasserstrahlen auf die Möbelreste, bis ich keine Flammen mehr erkennen konnte. „Jörg?“, rief ich meinen Kollegen, der irgendwo hinter mir sein musste. „Jörg? Bist du da?“ Ich ging wieder in die Hocke. Jetzt, da die Leuchtkraft des Feuers fehlte und der Raum sich zusätzlich zum Rauch auch mit Wasserdampf zu füllen begann, sah man wieder nichts mehr. Die Maske war erneut beschlagen. „Hinter dir, ich ziehe noch den Schlauch nach“, kam es aus vielleicht zwei Metern Entfernung. „Hier hat wohl das Sofa gebrannt“, erwiederte ich und drehte mich wieder zur Brandstelle um. Das Feuer war zum Teil wieder erwacht, hatte noch nicht genug. Ich ging nun näher an das Sofa und bewässerte das Teil erneut. Plötzlich hörte ich etwas in der Nähe. Ein Stöhnen? Oder Quietschen? War das Jörg? Oder war in der Wohnung noch ein Hund? Ich schloss das Strahlrohr und lauschte in die Dunkelheit. Aber ich hörte nur Jörg, der schon wieder mit der Personensuche begonnen hatte, weil er jetzt genug Schlauchleitung in die Wohnung gezogen hatte. Nun, er ist ja nicht mehr der Jüngste. Da darf man beim Kriechen in fremden Buden schon mal stöhnen… Rohr offen, weiter Wasser auf die Flammen. Aber … da! Noch einmal dieses Geräusch! Ich stoppte erneut das rauschende Wasser. Jetzt hörte ich es noch mal: Ein Seufzen, oder Jammern, kam aus dem Bereich links der Brandstelle! Ich wischte mit den Handschuh über mein verschmutztes Maskenglas und leuchtete in die Richtung. Tief gebückt erkannte ich durch den dichten Rauch einen Kleiderhaufen. Er lag in der engen Niesche zwischen dem brennenden Sofa und einem Schrank, der etwa 1 Meter entfernt stand. Hatte sich ein Tier dort hinein geflüchtet? Wieder ein Stöhnen. Und dann sah ich es: Aus dem Kleiderhaufen ragte ein Fuß! Nackt, die Haut pellte sich von dem roten Fleisch – es war gar kein Kleiderhaufen, dort lag eine Person, zusammengekrümmt in Embryonalstellung, mit dem Rücken zum brennenden, nur etwa 30cm entfernten Sofa!

„Jörg! Person gefunden! Hier liegt jemand!“, brüllte ich durch meine Gummimaske. „Jörg! Hilf mir, fass mal mit an! Person gefunden!“ Mein Lungenautomat zischte hektisch bei jedem Atemzug, als ich in das Kleiderbündel packte und hochriss. Ein Oberkörper kam zum Vorschein, lange, silberne Haare hingen wirr vom Kopf einer alten Frau. Scheinbar trug sie Strickware aus Kunstfaser, denn große Löcher waren an Rücken und Arm zu sehen, unter denen die blanke, in Fetzen hängende und teils rußgeschwärzte Haut zu sehen war. Ich hörte Jörg in der Dunkelheit den Funkspruch absetzen: „Einsatzleitung von Angriffstrupp!“ – „Einsatzleitung hört.“ – „Eine Person gefunden. Rettungsdienst zum Eingang!“ Ich erkannte im Lichtstrahl der Helmlampe eine Hand. Auch hier das teils rote, teils geschwärzte Fleisch, das Strickbündchen zerstört, die ersten Stellen waren schon blutig. Es musste höllisch schmerzen. Egal, die Frau musste schnell hier raus! Ich packte sie am Arm, bekam auch den Zweiten zu fassen, und zerrte sie aus der engen Ecke. „Jörg! Wo bleibst du?“ Einen Moment schoss mir durch den Kopf: Sollte ich ihr eine Fluchthaube anlegen? Aber das wäre Zeitverschwendung. Bis ich im Dunkeln die Packung mit der Haube geöffnet und ihr übergestreift hätte, wären wir längst aus der kleinen Wohnung raus. Also weiter zerren! Ich konnte erkennen, dass Jörg, an dem ich im Dunkeln schon vorbei gekrochen war, an den Beinen zu schieben begann, während ich, auf allen vieren Rückwärts robbend, immer wieder an den verbrannten Armen zog. Einfach hoch heben? Einen Meter höher herrschten wahrscheinlich Temperaturen jenseits von Gut und Böse, die ohne Schutzkleidung nicht zu überleben sind. Sollte die Dame bisher ihre Lunge noch nicht verbrannt haben, würde sie sie sich dann garantiert mit dem nächsten Atemzug verletzen. Ich wunderte mich, dass die Dame überhaupt noch lebte! Mir kam der Sicherungstrupp vor der Tür in den Sinn, der dort immer noch warten sollte. Wir waren sowieso auf dem Rückweg, die Wohnung war übersichtlich, der konnte jetzt also ruhig mal mit anfassen. „Hallo da draußen!“, rief ich hektisch. „Hallo! Wir brauchen Hilfe! Fasst mal mit an!“ Aber nichts geschah. Jörg schob an den Beinen, ich zog. Irgendwelche Funksprüche, die ich nicht verstand. „Ey, da draußen! Mal mit anpacken! Person gefunden!“ Verstanden sie mich nicht? Fühlten sie sich nicht angesprochen? Oder machten die gerade ihre gewerkschaftlich unter großen Anstrengungen erkämpfte Pause?? Wir waren vielleicht noch zwei Meter vom Ausgang entfernt. Dann die Antwort: „Was ist los?“ – „Pack mal mit an! Nimm die Hand.“ Jemand fasste mich an der Schulter, ein Handschuh griff an mir vorbei und nahm das Handgelenk. „Hab sie! Komm durch“, wies er mich an. Ich quetschte mich im engen Flur an dem Kollegen vorbei und kroch rückwärts unter der halben Tür durch. Draußen konnte man wieder etwas sehen, und ich wartete, bis die Kollegen die Frau, die übel aussah, an mir vorbei in den Hausflur gezogen hatten. Weitere mittlerweile vor der Tür wartende Kollegen trugen die Dame gleich weg. Dann schlüpfte ich wieder durch die Katzenklappe in die Brandwohnung. Jörg hatte die Bude gar nicht erst verlassen, sondern sich sofort wieder ans Strahlrohr gemacht. Ich kroch durch die Wohnung geradeaus zur Balkontür. Wir brauchten bessere Sicht, ich wollte also Abluftöffnungen schaffen. Als ich die Balkontür öffnen wollte, fielen Glasscherben klirrend zu Boden. Die Scheibe war längst geplatzt und nur noch in Resten vorhanden. Darum hatten die Passanten überhaupt erst den Rauch aus der Wohnung sehen können: Zur Zeit des Notrufes hatte die Hitze in dem Raum die Balkontür schon zerstört.

Die Sichtweite betrug mittlerweile wieder etwas über einen Meter. Nun suchte ich die kleine Behausung noch mal gründlich ab. Auch den Teil, den Jörg wahrscheinlich schon durchsucht hatte. Es handelte sich um ein Einraum- Appartement mit Küchenzeile und einer Niesche, in der das Bett stand. Am Spülbecken war der Wasserhahn geöffnet. Vielleicht kam daher die große Luftfeuchtigkeit, die wir bereits beim Betreten der Wohnung wahrgenommen hatten. Wollte die Frau noch einen Löschversuch unternehmen? Wäre sie mal lieber gleich geflüchtet! Das Inventar war etwas durcheinander und unaufgeräumt (woran wir aber nur bedingt Schuld trugen), aber entgegen meines ersten Eindruckes war es keine Messiwohnung. So war die zweite Suche schnell erfolglos beendet. Als die Rauchquelle abgelöscht war und die Luft quer durch die Wohnung zog, konnte man auch recht schnell weitere Einzelheiten im Lampenlicht erkennen. Die Lage entspannte sich.

Nachdem wir Gewissheit hatten, dass keine weiteren Personen dort waren und der Kollege noch nach Glutnestern suchte, setzte ich mich erschöpft für einen Moment in den Sessel, der mir vorhin im Weg stand. Meine Atmung beruhigte sich langsam wieder. Auch Jörg legte das Strahlrohr jetzt nieder, stemmte, auf die verkohlten Reste blickend, die Hände in die Seiten und seufzte dumpf durch die Maske: „Yo, reicht. Den Rest können die Kollegen machen. Bin geschafft.“ Wieder war die Ruhe surreal: Ich saß ruhig da, in voller Ausrüstung mit Atemschutzgerät, der Lungenautomat zischte bei jedem Atemzug. Rauchschwaden zogen durch den Strahl der Lampe. Vor mir der Kollege, ebenfalls dick eingepackt, der die verkohlten Balken nachdenklich ansah, wie ein Bauer, der auf dem Feld nach der Saat schaut.

Ich erhob mich wieder, als der ablösende Atemschutztrupp wenige Sekunden später die Wohnung betrat. „Übernehmt mal. Wir machen hier Schluss“, übergab ich die Einsatzstelle. Ein Blick auf das Druckmanometer, welches kurz vor Reserve anzeigte: „Komm, Jörg, wir hauen ab. Unsere Luft ist verbraucht.“ Im Treppenhaus gab ich über Funk an unseren Chef weiter, dass wir den Rückzug angetreten hatten. Mir fiel auf, dass Jörgs Helm schwarz beschmiert war. Auch die Kleidung war schmutzig. „Du siehst aus wie eine Sau!“, hielt ich ihm vor, und schob nach einer Kunstpause hinterher: „Und schmutzig gemacht hast du dich auch.“

2015-12-24 19.23.04 Der Lift war mittlerweile abgeschaltet, da der Flur jetzt verraucht war. Der Abstieg über die zehn Etagen wurde lang. Draußen vor dem Gebäudeeingang kämpften die Kollegen vom Rettungsdienst noch darum, die Gerettete Transportfähig zu machen. Sie lebte also noch. Am Löschfahrzeug half uns der Maschinist beim Ablegen der Atemschutzgeräte und reichte uns zwei Flaschen Apfelschorle. Wir konnten sehen, wie sie das Opfer in den RTW brachten, Geräte ins Haus getragen wurden und weitere Atemschutztrupps das Haus betraten. Hektisches, aber choreografiertes Treiben. Vor dem Hochhaus stand eine Armada roter Autos, die ganze Gegend blitze blau. Unsere Schultern waren weiß von aufgewirbelter Asche, mein Helm vom Rauchniederschlag grau. Jörg schaute mich an: „Blumenkübel auf Balkon… Klar. Wir können froh sein, dass wir alles mit rauf genommen haben und nicht nur mit einer Kübelspritze vor der Tür standen!“ Ich nickte. „Dass wir gleich die Steigleitung geflutet und alles für einen Löschangriff mitgenommen hatten, war Gold wert.“ Ich schaute an mir herunter. An meinem Knie klebten noch Haare von der Geretteten, die wohl auf dem Wohnungsteppich lagen. „Allerdings hätte ich mir eine andere Tür vor der Bude gewünscht. Wir waren ja schon kaputt, als wir die endlich auf hatten. – Wo warst du eigentlich so lange, als ich die Oma gefunden hatte? Das kam mir wie eine Ewigkeit vor!“ Jörg grinste: „Als du gerufen hattest, habe ich erst mal den Schlauch an die Seite gezogen, damit der uns nicht im Weg liegt. Und während meiner Rückmeldung bist du schon schimpfend an mir vorbei gerobbt! Darum habe ich auch an den Beinen geschoben. Du warst ja schon mit ihr vorbei.“ Tja, so kann man sich täuschen. Zeit ist relativ: Unter Stress werden Sekunden zu Minuten …

Der Einsatzleiter trat an uns heran: Die Kripo wollte die ersten Fragen beantwortet haben. Jörg gab der Polizistin, die mit ihrem Schreibmäppchen dem Chef gefolgt war, Auskunft und zeichnete einen groben Lageplan der Wohnung, auf dem ich zeigte, wo und in welcher Lage ich die Frau gefunden hatte und was wir bei unserer Arbeit verändert hatten. Das war zum Glück nicht viel. Na gut, an der Tür hatten wir doch einige Spuren hinterlassen …

Später informierte uns der Wachführer, dass die Tür eine Dreifach- Verriegelung hatte, also je einen Riegel oben, in der Mitte und unten. Deswegen hielt auch die halbe Tür noch zuverlässig stand. Zudem bestand sie aus verleimten Vollholz, weswegen sie sich nicht mit der Axt zerstören ließ. Als Lehre daraus werden wir bei zukünftigen Einsätzen in dem 20-Stöckigen Haus, in dem in allen Wohnungen mit diesen Türen ausgestattet sind, sofort eine Kettensäge mitnehmen.
Zahnlücke …
Zahnlücke …

Zurück auf der Wache entdeckten wir beim Reinigen der Säge, dass ich die Kette gründlich ruiniert hatte: An den Beschlägen der Tür hatte ich vier Zähne abgebrochen! Zudem fanden wir im Kettenkasten einen abgerissenen Stoffsaum. Und da wusste ich auch, warum dieser Klamottenhaufen hinter der Tür lag: Ich hatte wohl bei meinem ersten Schnitt das Schwert durch die Tür an die Garderobe gebracht, die Kette hatte sich in einem Mantel verfangen und ihn mitsamt der Garderobe von der Wand gepflückt. Die Dame in der Wohnung war also gar nicht so unordentlich, wie wir dachten. Das Antriebsritzel des Motors hatte sich bei der Gelegenheit übrigens auch gleich verabschiedet. Die Säge musste getauscht werden. Wenn Feuerwehrleute was kaputt machen, dann richtig.

Die Frau aus der Wohnung wird die Sache aber wohl nicht überlebt haben. Vielleicht hat sie der Einbruchschutz das Leben gekostet.
Quelle

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